Heilbronner Kesselklage abgewiesen – Kläger prüfen Einlegen weiterer Rechtsmittel

Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart fand heute die Fortsetzung der
mündlichen Verhandlung über den Heilbronner „Polizeikessel“ statt.
„Polizeikessel“ — ein Kandidat für das „Unwort des Jahres“, wie in
einer Grußansprache bei der kurzen Solidaritätskundgebung vor dem
Gerichtsgebäude vorgeschlagen wurde.

Fünf Klägerinnen und Kläger wollten feststellen lassen, dass die über
zehn Stunden dauernde „Ingewahrsamnahme“ von 450 Antifaschistinnen
und Antifaschisten vor dem Heilbronner Hauptbahnhof unrechtmäßig war.
Sie hatten am 1. Mai 2011 an der dortigen DGB-Kundgebung teilnehmen
und gegen einen Naziaufmarsch demonstrieren wollen. Das
Verwaltungsgericht wies ihre Klagen ab.

Der Arbeitskreis Kesselklage, in dem sich Klagende und Unterstützende
zusammengefunden haben, sieht in der vorherrschenden Polizeitaktik
ein politisches Grundsatzproblem. Der Tübinger Gewerkschafter Lothar
Letsche: „Es ist ein Unding, dass AntifaschistInnen in ihrer
Demonstrations- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden, sich
am 1. Mai auf dem Weg zur Gewerkschaftskundgebung durchsuchen lassen
sollen, nur damit Nazis ungestört marschieren können. Sogar die
Landesverfassung sagt, dass dieser Feiertag ‚dem Bekenntnis zu
sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung‘
gelte, also nicht für Naziparolen da ist. Ein solches Szenario war
nicht nur vor anderthalb Jahren in Heilbronn zu beobachten, sondern
auch bei antifaschistischen Protesten am 30. Juli in Stuttgart und am
6. Oktober 2012 in Göppingen.“
Der Arbeitskreis Kesselklage will eine solche Kriminalisierung von
AntifaschistInnen nicht weiter hinnehmen. „Ob politisch oder
juristisch ­ — kein Kessel darf ohne Konsequenzen bleiben“, so ein
Sprecher des Arbeitskreises.

Wegen der Vorfälle in Stuttgart am 30. Juli, als etwa 70
AntifaschistInnen eingekesselt wurden, um jeden Protest gegen eine
Propagandatour der neonazistischen NPD zu unterbinden, wurde
mittlerweile ebenfalls Klage eingereicht.

„Auch wenn das Gericht heute nicht im Sinne der Klägerinnen und
Kläger entschieden hat, so geht die politische und juristische
Auseinandersetzung weiter. Wir prüfen, weitere Rechtsmittel
einzulegen“, erklärte der Sprecher des AK Kesselklage abschließend.

Pressemitteilung: Verhandlung wegen Heilbronner Polizeikessel wird fortgesetzt

Am 6. Dezember findet ab 11 Uhr der zweite Verhandlungstermin der Klage gegen den Heilbronner Polizeikessel statt. Bereits auf 10 Uhr ruft der Arbeitskreis Kesselklage zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude auf.

„Am ersten Verhandlungstag haben wir KlägerInnen unsere Erlebnisse am 1. Mai 2011 vor dem Heilbronner Hauptbahnhof dargestellt. Wir verbrachten einen kompletten Tag von morgens bis abends in einem Polizeikessel während den Nazis ihr Aufmarsch ermöglicht wurde.“ fasst Lothar Letsche, einer der Kläger den ersten Verhandlungstag zusammen und ergänzt: „Für uns ist es unerträglich, dass die Polizei immer wieder Nazis den Weg frei prügelt, und antifaschistischen Protest festsetzt. Die Unrechtmäßigkeit dieser Polizeitaktik möchten wir mit unserer Klage feststellen lassen.“

Wir bitten Sie um Berücksichtigung in Ihrer Berichterstattung. Am Rande der Kundgebung ab 10 Uhr besteht die Möglichkeit zu Interviews mit Vertretern des Arbeitskreises und Klagenden.

Mit freundlichen Grüßen

Arbeitskreis Kesselklage

Termin: 6. Dezember 2012, 10 Uhr Kundgebung, ab 11 Uhr
Gerichtsverhandlung, Verwaltungsgericht Stuttgart (Augustenstr. 5)

Linksjugend [’solid] BaWü fordert zur Prozessbeobachtung am 6.Dez in Stuttgart auf

Antifaschismus ist das Gebot der Stunde – und kein Verbrechen

Die linksjugend[’solid] Baden-Württemberg bekräftigt nochmals ihre Unterstützung zum AK Kesselklage, welcher am 6. Dezember um 11 Uhr einen weiteren Verhandlungstermin beim Verwaltungsgericht Stuttgart hat. Neues Beweismaterial ist aufgetaucht, mit dem die Kläger_innen belegen wollen, dass die stundenlange Kesselung von Antifaschist_innen, die gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Heilbronn am 1. Mai demonstrierten, durch die Polizei rechtswidrig war.

Wir bleiben bei unserer am 28. Oktober auf unserer Jahreshaupversammlung verabschiedeten Erklärung (Auszug): „ […] Wir unterstützen die geplanten Klagen gegen die stundenlange Kesselung der Nazigegner_innen und werden mit Öffentlichkeitsarbeit weiteren politischen Druck gegen die verantwortlichen Behörden aufbauen. Das Recht auf demokratische Versammlungsfreiheit und Meinungsäußerung muss erhalten und ausgebaut werden! Dafür werden wir uns auch in Zukunft stark machen. Weder ausufernde Polizeigewalt und -willkür, noch juristische Schikanen können uns einschüchtern.“

Wir möchten auf diesem Wege alle Antifaschisten und Antifaschistinnen dazu aufrufen, den AK Kesselklage bei der Gerichtsverhandlung zu unterstützen und wenn möglich, diesem Termin als Besucher_innen beizuwohnen. Um 10 Uhr, also eine Stunde vor Verhandlungsbeginn, findet noch eine Kundgebung vor dem Gebäude des Verwaltungsgerichts Stuttgart statt.

Kesselklage geht in die zweite Runde

Die Klage gegen den Heilbronner Polizeikessel vom 1. Mai 2011 wird am 6. Dezember vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht fortgesetzt. Die Verhandlung wurde vertagt, nachdem neues Videomaterial aufgetaucht ist. Die fünf KlägerInnen möchten feststellen lassen, dass die Polizeitaktik am 1. Mai 2011 in Heilbronn, die die Kesselung hunderter Antifaschisten vorsah während den Naizis ihr Aufmarsch ermöglicht wurde, rechtlich unzulässig war.

Vor Verhandlungsbeginn findet vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt.

Wir lassen uns nicht festsetzen!
Das Recht auf antifaschistischen Protest verteidigen!

6. Dezember 2012
Kundgebung: 10 Uhr, vor dem Gerichtsgebäude
Verhandlungsbeginn: 11 Uhr, Verwaltungsgericht Stuttgart (Augustenstr. 5.)

Rede des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region zum 9. November am Synagogen-Gedenkstein in Bad Cannstatt

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten – Liebe Passantinnen und Passanten,
wir stehen hier an einem historischen Ort. Heute vor 73 Jahren wurden in ganz Deutschland jüdische Geschäfte und Synagogen von den Nazis geplündert und zerstört. So auch in Bad Cannstatt. Die ehemalige Synagoge vor der wir hier stehen war eines der unzähligen Ziele der Nazihorden. Mit dem ersten großen Pogrom gegen Menschen jüdischen Glaubens am 9. November 1938 begann das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte – die industrielle Vernichtung von 6 Millionen Juden sowie unzähliger Sinti, Roma, Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen und politischen Gegnern. Kurz: Alles was nicht in das absurde Menschenbild der Faschisten passte.

Wir sagen: Never again!

Leider sind wir die Nazis und ihr menschenverachtendes Weltbild auch heute nicht los – und das 67 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus!

Und dabei meinen wir nicht nur den NSU, welcher bundesweit einen großen medialen Aufschrei auslöste. Nein, dieser ist sicher nur die Spitze des Eisberges einer Naziszene, die seit Jahrzehnten mehr oder weniger unbehelligt von staatlichen Institutionen ihr Unwesen treibt.

Diese Naziszene gibt es nicht nur in Ostdeutschland. Nein, diese Naziszene finden wir auch hier – direkt vor unserer Haustüre!

Gerade in Rems-Murr Kreis, in der Region um Göppingen und in Leonberg sind in den letzten Jahren und Monaten immer wieder Faschisten mit Aktionen und direkten Angriffen, ja sogar mit Mordversuchen aufgefallen.

Um nur einen kleinen Überblick zu geben:

Im Frühjahr 2011 wurden in Winterbach auf einem Gartengrundstück neun Menschen mit Migrationshintergrund aus einem 70er Mob Nazis angegriffen und gejagt. Als diese sich in eine eine Gartenhütte flüchteten um sich in Sicherheit zu bringen zündeten die Faschisten die Hütte an. Nur durch Glück konnten sich die Opfer aus der brennenden Hütte retten und entkamen so nur knapp dem Tod. Auch in Leonberg trug sich vor ca. zwei Jahren ein krasser gewalttätiger Übergriff zu:

Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung zwischen einem Antifaschisten und einem bekannten Leonberger Neonazi zog der Faschist unvermittelt eine Gaspistole und schoss dem Antifa aus kürzester Distanz ins Gesicht. Nur durch mehrere Notoperationen konnte das Augenlicht des Antifaschisten gerettet werden.

Neben diesen erschreckenden Ereignissen fallen die Nazis in der Region auch durch eine kontinuierliche Propaganda-Arbeit auf. Gerade in Göppingen hat sich eine Naziszene entwickelt, die im letzten Jahr mehrmals versuchte ihre Ideologie mit Flugblattaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen unters Volk zu bringen.

Der letzte dieser Versuche der Faschisten war eine groß angekündigte und bundesweit mobilisierte Demonstration in Göppingen Anfang Oktober. Hier stießen sie auf heftigen und kraftvollen antifaschistischen Protest, welcher den Ablauf der Nazidemo stören und einschränken konnte.

Dieses Event und andere machen klar, dass es möglich ist, sich den Nazis in den Weg zu stellen! Wenn viele Tausend Menschen trotz aller Unterschiede von Alter, Herkunft und auch den gewählten Aktionsformen Schulter an Schulter nebeneinander stehen ist es möglich, den Nazis einen wichtigen Teil ihrer Arbeit zu vermiesen – die öffentliche Selbstinszenierung.

Die öffentlichen Auftritte der Faschisten sind der Niederschlag von kontinuierlicher Arbeit der Faschisten. Deshalb muss es uns auch immer auch darum gehen aufzuklären, die Strukturen direkt anzugehen und ein antifaschistisches Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen!

Deshalb laden wir alle interessierte ein, sich am Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region zu beteiligen um gemeinsam Strategien gegen konkrete Naziprobleme zu entwickeln! Kommt zum AABS!

Wir sagen:

Nazis keine Basis bieten:
nicht in Stuttgart,
nicht in Göppingen,
nirgendwo!

Alerta Antifascista!

Rede von Heinz Hummler zum 9.11.2012 am Synagogen-Gedenkstein in Bad Cannstatt

Heinz Hummler (geb. 1932), der Sohn des von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers Anton Hummler (1908-1944), hielt am 9. November 2012 am Platz ehemaligen Synagoge in Stuttgart-Bad Cannstatt die Gedenkrede für die Opfer und Ereignisse in der Nacht des 9./10.11.1938, der Reichspogromnacht oder „Reichskristallnacht“, die sich gegen die in Deutschland lebende jüdische Bevölkerung richtete:

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unserer heutigen Gedenkveranstaltung.

Es ist ein Jahrestag, weswegen wir uns hier versammelt haben.

Jahrestage können sehr unterschiedliche Inhalte haben. Entweder es gibt etwas zu feiern, oder es gilt, sich wie heute, an bedeutsame Vorgänge zu erinnern um dann daraus schlussfolgernd richtige Erkenntnisse zu ziehen.

Vor 74 Jahren wurde die, an diesem Platz stehende Synagoge der jüdischen Gemeinde in Bad Cannstatt von einer SA-Horde unter dem Beifall einer großen Menschenmenge niedergebrannt. Und es brannte nicht nur diese, sondern viele hundert andere Synagogen in Deutschland.

Damals 6-jährig, habe ich zeitlebens Ereignisse aus dieser Zeit vor Augen.

In der Nähe unserer damaligen Wohnung im Stuttgarter Westen gab es Ecke Rotebühl- und Reuchlinstraße das Geschäft der Familie Sommerfeld. Meine Eltern kauften dort oft ein weil die Preise günstig und die Leute freundlich waren. Eines Tages, als wir dort hinkamen, waren die Schaufenster eingeschlagen, die Türen zugeklebt und die Familie Sommerfeld verschwunden. Aus der Reaktion meiner Eltern erkannte ich, wie aufgewühlt und wie betroffen diese waren.

Meine Frau Heidi beschreibt in einem Buch über ihre Kindheitserlebnisse in Heilbronn folgendes:

„Besonders freute ich mich, wenn wir zu Tante Ritzi und Onkel Rudi gingen. Dort durfte ich ab und zu bei ihren Kindern übernachten. Im oberen Teil des Hauses wohnte ein freundliches altes Ehepaar. Sie schauten uns oft beim Spielen in dem großen parkähnlichen Garten zu und schenkten uns Schokolade. Schokolade war etwas, was es zu Hause nicht gab und ich wusste, dass die sehr teuer und kostbar ist.

Eines Nachts, als ich wieder bei Tante Ritzi übernachten durfte, wachte ich von schrecklichem Lärm auf. Ich hörte laute Stimmen vieler Männern, was sie brüllten verstand ich nicht. Ich merkte, dass sie dicht vor unseren Fenstern im Vorgarten standen, dass es polterte und etwas auch gegen die geschlossenen Läden in unserem Zimmer flog. Aufgeregt stieg ich aus dem Bett und ging in den Vorraum der Wohnung. Dann sah ich durch die geöffnete Tür, wie Männer in braunen Uniformen die netten alten Leute brutal die Treppe hinunterstießen. Der alte Mann blutete im Gesicht, die alte Frau stürzte nur deshalb nicht die Treppe herunter, weil Onkel Rudi sie auffing. Der wurde dann von einem dieser braunen Krakeeler angeschrieen, er solle zurück in die Wohnung gehen und die Türe schließen.

Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass ich die sogenannte Kristallnacht am 9. November 1938 miterlebt hatte.“ – Soweit das Zitat.

Für uns Kinder im Vorschulalter waren diese Ereignisse schlimm, obwohl wir damals noch nicht alles ganz verstanden.

Was aber dachten und fühlten die Erwachsenen die das erlebten? Und wie viele Ausreden für ihr Verhalten haben sie nach der Befreiung vom Faschismus gefunden?

Wenn wir heutzutage an diesen 9. November 1938 denken, dürfen wir das nicht, ohne uns zu erinnern, warum und wie das alles so kommen konnte, wohin dies von da an geführt hat und wie nach dem Ende der Nazi-Zeit bis heute damit umgegangen wird.

Der Rassenwahn und die Verfolgungsorgien der Nazis gegen Juden und andere Volksgruppen kamen nicht aus heiterem Himmel. Hitler hatte dies schon lange zuvor in seinem Buch verkündet. So waren die brennenden Synagogen nur ein weiterer Schritt einer entmenschten Maschinerie, welche schon kurz nach der Machtübertragung an die Nazis, mit der Einrichtung der ersten Konzentrationslager und spektakulären Bücherverbrennungen ihren Anfang nahm.

Der 80. Jahrestag der Eröffnung des 1. Deutschen KZ’s auf dem Heuberg bei Stetten am kalten Markt ist im Frühjahr des nächsten Jahres und man darf gespannt darauf sein, wie das offizielle Deutschland diesen Termin wahr nimmt.

Der deutsche Faschismus hat seine Ziele nie verheimlicht. Dies waren die Schaffung eines „großdeutschen Reiches“, die Eroberung der Kornkammern und Rohstoffe im Osten, und die Eliminierung aller Nichtarier aus dem deutschen Volk.

Als es ihm gelungen war, nach dem Einmarsch ins Rheinland, der Rückführung des Saarlandes ins 3. Reich und der Annexion Österreichs, im so genannten Münchener Abkommen 1938 die Zustimmung der Westmächte zum Einmarsch in die Tschechoslowakei zu erhalten, gab es für ihn kein Halten mehr.

Mit diesem Freibrief war die Pogromnacht am 9. November 1938 nur ein weiterer Schritt das deutsche Volk auf Krieg und Rassenhass einzustimmen.

Dass an diesem Tag die Feuerwehr nicht löschte, sondern nur das kontrollierte Niederbrennen der jüdischen Glaubenshäuser absicherte, hier in Cannstatt legte sie das Feuer sogar selbst, während eine grölende Menschenmenge Beifall klatschte und anschließend jüdische Geschäfte plünderte, war kein Zufall. Es war der in den Nazi-Medien vorgegebene und akkurat geplante so genannte Volkszorn.

Pastor Martin Niemöller schildert die damalige Situation so:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Und dann hatten die Nazis schließlich ihren Krieg und überzogen mit ihrer Militärwalze mordend und plündernd fast ganz Europa. Damit begann auch die Jagd auf Nicht-Arier und so genannte Untermenschen in allen besetzten Ländern vom Nordkap bis zum Peleponnes.

Für alle, die auch heute noch meinen, die Nazi-Wehrmacht habe nur tapfer gekämpft und sich nie etwas zuschulden kommen lassen, möchte ich an dieser Stelle nur an ein einziges unter hunderten anderen Beispielen erinnern.

Am 29. und 30. September 1941, 3 Monate nach Beginn des Überfalls auf die Sowjet-Union, verübte die Deutsche Wehrmacht unter dem Befehl von SS-Offizieren in Babij Jar, einer 400m langen und 80m breiten Waldschlucht nahe der ukrainischen Stadt Kiew, die größte einzelne Mordaktion an jüdischen Kindern, Frauen und Männern.

Innerhalb von 36 Stunden erschoss eine Einsatzgruppe mit Maschinenpistolen 33.771 Menschen.

Dieses Nazi-Deutschland war keine x-beliebige Diktatur wie so manche andere.

Eine solche Unterscheidung darf nicht als Verharmlosung von vielem Unrecht, wo immer dies auf dieser Welt geschehen ist oder geschieht, missverstanden werden.

Die Verbrechen des Hitler-Faschismus aber waren in ihren Dimensionen und in ihrer Brutalität einmalig und unvergleichbar.

Vorsätzlich, auch „wenn alles in Scherben fällt“, wurde der 2. Weltkrieg entfesselt mit niedrigsten Beweggründen wie „Volk ohne Raum“, „gegen die englischen Plutokraten“, „gegen das raffende jüdische Kapital“ und „gegen die Untermenschen des Ostens“.

Am Ende war halb Europa zerstört und mehr als 55 Millionen Menschen zerbombt, zerfetzt, niedergemetzelt, verbrannt.

Planmäßig schleppten die deutschen Rassenideologen in ihrem sadistischen Wahn 6 Millionen Menschen, vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma, Behinderte und Kranke, in die Gaskammern und Verbrennungsöfen ihrer Vernichtungslager.

Es war gerade diese Geisteshaltung und dieser Vernichtungswille, welche die Einmaligkeit der Verbrechen in Nazideutschland ausmachten und die für mich als 12-jährigem Jungen gipfelten im Jahre 1944 in der Ermordung meines Vaters durch die Nazijustiz.

Für viele Menschen ist es nicht leicht, riesige Gesamtzahlen als die Summe von vielen persönlichen entsetzlichen Schicksalen zu erkennen. Deshalb haben die Demagogen, denen die Wahrheit über Krieg und Faschismus ein Horror ist, oft leichtes Spiel.

Am heutigen Jahrestag gedenken wir an der Stelle der von den Nazis niedergebrannten Cannstatter Synagoge auch aller Opfer des deutschen Faschismus.

Wir erinnern damit an alle Gräueltaten des schlimmsten Verbrecher-Regimes in der Geschichte der Menschheit.

Wir sind hier, weil davon nichts vergessen werden darf und weil das aus vielerlei Interessen betriebene Vergessen die Erlaubnis zur Wiederholung in sich birgt.

Diese Gefahr ist real.

Nach 1945 ging es den Herrschenden im Nachkriegsdeutschland zuerst um‘s Verschweigen und für das schlechte Gewissen der meisten Deutschen war das bequem.

In den Schulbüchern der Nachkriegszeit endete die deutsche Geschichte mit der Weimarer Republik und ging erst mit der BRD weiter. Dazwischen gab es nichts. Meine Töchter lernten Geographie noch 1970 nach einem Schulatlas in dem über Pommern und Schlesien gedruckt zu lesen war „deutsche Gebiete – zur Zeit unter polnischer Verwaltung“.

Dann begann das Bagatellisieren der Nazi-Verbrechen. Eine der wichtigsten Formen ist dabei die Gleichsetzung von so genannten Rechts- und Linksextremisten. Damit werden brutalst organisierte Verbrechen und individuelle Verfehlungen auf ein und dieselbe Stufe gestellt.

Es dauerte bis zum Jahr1963, also fast 20 Jahre nach Kriegsende, bis mit dem ersten Auschwitz-Prozess, welcher nur durch die Hartnäckigkeit des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer eröffnet wurde, in Westdeutschland erstmals eine juristische Aufarbeitung versucht wurde.

Viele Verfolgte des Nazi-Regimes hatten zu diesem Zeitpunkt schon ihre Opfer-Rente verloren, das heißt, sie wurde ihnen von den Behörden der BRD deshalb aberkannt weil sie ihre politischen Ziele, derentwegen sie von den Nazi’s verfolgt, eingesperrt und gefoltert worden waren, nicht aufgegeben hatten.

Heute agieren Alt- und Neo-Nazis mitten in unserer Gesellschaft ganz unverfroren. Sie wissen, dass ihnen und ihrem Treiben allein schon wegen der unter sie eingeschleusten V-Leute keine Gefahr seitens unseres Staates droht.

Sie wissen, dass der mit Sicherheit auch heute hier anwesende Berichterstatter des Verfassungsschutzes, nicht den Auftrag hat, darauf zu achten ob der Artikel 139 unseres Grundgesetzes eingehalten wird.

Es gibt jedoch auch viel zu viele Verantwortliche in unserem Land, welche die für sie unbequemen Teile unseres Grundgesetzes einfach ausklammern, wie eben die Artikel „zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ oder zur „Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen“.

Eine alte Volksweisheit besagt: „Unterm Strich wird zusammengezählt“.

Man muss noch nicht einmal besonders kritisch zur von Politik und Medien betriebenen Informationspolitik stehen, um festzustellen:

Nazistische Umtriebe werden hierzulande nicht nur geduldet sondern sogar begünstigt.

Mit der, mehr als zufälligen Aufdeckung der Verbrechen des „NSU“ genannten Nationalsozialistischen Untergrunds wird nur ein kleiner Teil der Vernetzung von staatlichen Behörden und dem Unwesen faschistischer Umtriebe offenbar.

Die Ombudsfrau der Angehörigen der NSU-Mordopfer, Barbara John, beschreibt das in einem Interview so: „Wir sehen inzwischen, dass die Sicherheitsbehörden ein Eigenleben führen und ihre Fehler auf keinen Fall offenlegen wollen. Im Gegenteil, sie vertuschen sie.“ Und sie antwortet dann auf die Frage, ob auch ihr persönliches Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert sei: „Ja. Ich stehe mit Entsetzen davor.“

In der bundesdeutschen Öffentlichkeit wird von Politikern und Medien beim offensichtlichen Zusammenwirken von Naziterror und Behörden immer nur von Pannen geschwafelt. Die einzige echte Panne war jedoch nur, dass eine Firma verunreinigte DNA-Teststäbchen geliefert hatte. Alles andere, was jetzt ans Licht kommt, ist das vorsätzliche Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Kripo mit den Neo-Nazis.

138 Morde mit rechtsradikalem und rassistischen Hintergrund in den letzten 20 Jahren sprechen eine eindeutige Sprache.

Die Verstrickung bundesdeutscher Justiz, so genanntem Verfassungsschutz und den politisch Verantwortlichen für die Polizei mit rechtsradikalen Positionen zeigt sich an unzähligen kleinen, aber insbesondere an einigen zum Himmel schreienden gravierenden Beispielen.

Da gibt es in Stuttgart einen Oberstaatsanwalt und seine Jagd auf durchgestrichene Hakenkreuze, die von ihm demagogisch als Nazi-Symbole deklariert wurden, welcher vor 5 Jahren auf internationalen Druck hin am 8. März 2007 nur noch von Bundesanwalt und Bundesgericht in Karlsruhe gestoppt werden konnte.

Schon für solche fachlichen Entgleisungen wie die im Jahr 2007 wäre in einem Wirtschaftsunternehmen ein normaler Beschäftigter wegen gröbster Fehler fristlos entlassen worden.

Doch Herr Häußler darf seinen juristischen Amoklauf unbeirrt fortsetzen.

Ein Arm im Beton sei „Gewalt“ gegen Vollstreckungsbeamte und zu bestrafen, das Massakrieren von hunderten Menschen von Säuglingen bis zu Greisen in St. Anna di Stazzema aber, weil es der Bekämpfung von Partisanen gedient haben könnte, wäre keines Verfahrens würdig, sagt dieser hohe Staatsbeamte heute.

Eine wahrhaft unerträgliche Geisteshaltung.

Partisanen, das waren und sind in ganz Europa – außer in Deutschland – geachtete und geehrte Kämpfer für die Befreiung ihrer Länder von der Okkupation durch Hitlerdeutschland.

In diesen Ländern gibt es bis heute nur Ehrfurcht und Achtung für solche Formen des Widerstands, wie zum Beispiel den Aufstand im Warschauer Ghetto, die Kämpfe der Selbstbefreiungsarmee unter Tito in Jugoslawien oder die Aktionen der französischen Resistance. In Italien ist der Kampf der Partisanen sogar in einem weltweit bekannten Lied verewigt. Wer kennt nicht „Bella Chiao“, das noch heute allen italienischen Kindern in der Schule vermittelt wird.

Und dann kommt ein Staatsanwalt aus Stuttgart daher und erfindet zynische Begründungen um die Mörder nicht anklagen zu müssen.

Doch damit nicht genug. Politik und Justiz begründen hierzulande die Erlaubnis für neofaschistische Umzüge und Umtriebe mit der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit.

Mit diesem Auftrag stehen dann monsterartig vermummte Polizisten in unseren Straßen, kesseln vorbeugend Passanten und antifaschistische Gegendemonstranten ein und erfassen diese erkennungsdienstlich.

Und dies nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. In Heilbronn, in Stuttgart, in Göppingen, und, und, und…

Dass es dabei nur um so genannte Meinungsfreiheit für Neo-Nazis geht, nicht aber für alle anderen, zeugt ein Erlebnis, welches ich selbst am 6. Oktober in Göppingen hatte.

Nachdem schon bei der morgendlichen Ankunft die Polizei eine große Menschengruppe in gefährlicher Weise auf den Bahnsteigen eingekesselt und den Bahnhof für alle Reisenden gesperrt hatte, – wo blieb da die Reisefreiheit für alle Bürger? – wurde ich bei der Rückfahrt von einem Polizisten aufgefordert, einen Button der VVN-BdA den ich auch jetzt trage mit der Aufschrift: „Nazis stoppen“, abzunehmen, weil ich sonst den Bahnhof nicht betreten dürfe.

Dass ich mir dies nicht gefallen ließ, sondern den Namen des Polizisten verlangte ist eine Sache.

Was aber zu fragen wäre ist: Mit welchen Aufträgen werden die Polizisten in solche Einsätze geschickt?

Es ist höchste Zeit, damit aufzuhören, dass Nazis staatlichen Schutz bekommen und Antifaschisten kriminalisiert werden.

Man kann es deshalb nicht laut genug sagen, und ich wiederhole es hier und heute:

Faschismus ist keine Meinung – und schon gar keine für die es ein Recht auf Meinungsfreiheit gibt. – Faschismus ist verbrecherisch, ob alt oder neu.

Es mag Leute geben, die sagen, wir wären so wenige und man müsse doch nicht immer alles wiederholen.

Es waren auch damals wenige, die sich dem braunen Terror widersetzten.

Aber sie hatten Recht!

Der größte deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Berthold Brecht schrieb 1952:

„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,

damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!

Lasst uns die Warnungen erneuern,

und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“

Um zu erinnern und zu warnen, dass solche Verbrechen die einst im Namen Deutschlands begangen wurden niemals vergessen werden dürfen, sind wir heute hier.

Bert Brecht sagt an anderer Stelle, und für mich klingt es wie eine Mahnung:

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.

Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer.

Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben.“

Wir wollen den heutigen Gedenktag zum Anlass nehmen, gegen Gleichgültigkeit, Vergessen-wollen und wohlwollende Duldung alter und neuer Nazis einzutreten.

Es muss zur gesellschaftlichen und staatlichen Pflicht werden, unseren Kindern und Enkelkindern die Geschichte unserer finsteren Vergangenheit und ihre Lehren daraus ungeschönt zu vermitteln:

Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, Völkerhass, Rassismus und Gewalt ausgehen.

Das sind wir, das ist Deutschland den Opfern der faschistischen Gewalt in ganz Europa schuldig.

Die Opfer des NS-Terrors – damals wie heute – mahnen: Eine Gewöhnung an Neonaziumtriebe und Rassismus darf es nicht geben!

Am 6.12. findet ab 11:00 der zweite Verhandlungstag vor dem Verwaltungsgericht in der Augustenstrasse in Stuttgart wegen des Polizeikessels am 1. Mai 2011 in Heilbronn statt. Dazu gibt es einen Beitrag der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber:

Für die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber unterstreicht der Jahrestag der Aufdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds (=NSU)“, wie wichtig es ist, im Lern- und Gedenkort Hotel Silber das NS-Unrecht darzustellen und dabei auch personelle Kontinuitäten der Gestapo nach 1945, sowie daraus resultierende Folgen auf Polizei und Verfassungsschutz aufzuzeigen. Erst Ende 2011 wurde aufgedeckt, dass der frühere Gestapobeamte bei der Stapoleitstelle Stuttgart im Hotel Silber, Victor Hallmayer, nach 1945 beim Verfassungsschutz Karriere machen konnte (siehe „Der Spezialist für Linke war einst SS-Mann“).

Mit der Einrichtung des Lern- und Gedenkortes Hotel Silber wollen wir eine bessere Aufarbeitung des NS-Unrechts und seiner Folgen auch über 1945 hinaus erreichen. Wir verbinden damit die Hoffnung auf diese Weise Rassismus und Neonaziumtrieben in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken.

Dafür, dass Polizei und Verfassungsschutz Jahre lang die Täter der NSU-Morde nicht in Neonazikreisen gesucht haben und immer wieder leugneten, dass es in Deutschland rechtsterroristische Organisationen und Netzwerke gibt, bietet die im Auftrag der Innenministerien Baden-Württemberg und Bayern vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg 2007 erstellte „Gesamtanalyse der bundesweiten Serie von Tötungsdelikten an Kleingewerbetreibenden mit Migrationshintergrund“ eine Erklärung, wenn es darin heißt: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“. Wahrscheinlich sei daher auch, dass die Täter „im Ausland aufwuchsen oder immer noch dort leben“. Wie kann es zu einer solchen absurden Einschätzung kommen, angesichts der deutschen Geschichte mit den millionenfachen Morden an Juden und weiteren Minderheiten sowie politischen Gegnern und der Tatsache, dass in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland annähernd 200 Menschen infolge rassistischer und neonazistischer Gewalt starben?

Bis heute ist die von der Bundeskanzlerin Angela Merkel den Angehörigen der NSU-Morde gegebene Zusage nicht erfüllt, alles tun zu wollen, um herauszufinden, warum der NSU so lange unbehelligt blieb. Zwar wird in Untersuchungsausschüssen versucht, Licht in das Dunkel der Verstrickung von Neonazi-V-Leuten und Sicherheitsbehörden zu bringen, doch zeigt sich, dass der Verfassungsschutz weiterhin ein Eigenleben führt und Akten zurückhält bzw. vernichtet. Auch Baden-Württemberg hält immer noch – wenn auch modifiziert – am V-Leute-System fest, das neonazistische und rassistische Strukturen und Aktivitäten mitfinanziert und deckt.

Im Umgang mit engagierten Nazigegnern stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass Bundeskanzlerin Merkel beim Staatsakt für die Opfer des rechten Terrors im Februar 2012 Bürgerinnen und Bürger, „die nicht wegsehen, sondern hinsehen“, als Partner der Sicherheitsbehörden für nötig hält, dass aber Bürgerinnen und Bürger, die sich Nazis mutig in den Weg stellen, in Baden-Württemberg mehrfach stundenlang von der Polizei eingekesselt, als „extremistisch“ beschimpft und einer Kriminalisierung ausgesetzt werden?

Warum wird noch immer eine Mitgliedsorganisation der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN), die 1947 von den wenigen Überlebenden der KZs und Folterstätten des Hitlerregimes gegründet wurde, vom Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet und als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ verunglimpft?

Die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber hält es für nicht hinnehmbar, dass am 1. Mai 2011 Nazis mit rassistischen und fremdenfeindlichen Sprüchen in Heilbronn besonderen Polizeischutz genossen und ganze Stadtteile für sie abgeriegelt wurden, während Gewerkschafter und Nazigegner schon bei ihrer Ankunft am Bahnhof eingekesselt und damit an der Teilnahme an der 1. Mai-Kundgebung des DGB sowie an der Durchführung einer angemeldeten antifaschistischen Demonstration gehindert wurden. Dies geschah, obwohl der 1. Mai in der Landesverfassung von Baden-Württemberg als gesetzlicher Feiertag festgeschrieben ist, der „dem Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung“ dienen soll (Art. 3/2).

Die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber solidarisiert sich mit den Klägern, die sich gerichtlich gegen die Polizeikessel in Heilbronn 2011 und auch in Stuttgart 2012 wehren. Mit Sorge stellt sie fest, dass das nach 1945 erlassene Verbot von Ersatz- und Nachfolgeorganisationen von NSDAP, SA und SS aufgeweicht worden ist und heute die Aktivitäten der Neonazis durch das sog. V-Leute-System des Verfassungsschutzes und durch Wahlkampfkostenerstattung der NPD vom Staat mit Millionen Euro jährlich gefördert werden. Neonaziaufmärsche sind jedoch kein Mittel der demokratischen Meinungsäußerung, sondern Aufrufe zu rassistischer, gewerkschafts-, behinderten- und schwulen-/lesbenfeindlicher Diskriminierung und Gewalt. Sie sind eine Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes und auch der Opfer des heutigen rechten Terrors. Eine Politik, die solche sogenannten „Meinungsäußerungen“ duldet und schützt und dagegen engagierte AntifaschistInnen kriminalisiert, konterkariert das mit der Errichtung des Lern- und Gedenkortes Hotel Silber verfolgte Ziel, über das NS-Unrecht in unserer Region aufzuklären und damit couragiert für Demokratie, Vielfalt und Völkerfreundschaft einzutreten.

4. November 2012, Ralf Bogen
(Vorstandsmitglied der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V.)

NSU ist nicht Neckarsulm – Der Heilbronner Polizistenmord wirft immer neue Fragen auf. Und sie zielen mitten in den baden-württembergischen Verfassungsschutz (LfV). Ein Exgeheimdienstler hat jetzt vor dem Berliner Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass er den Sicherheitsapparat bereits 2003 über die NSU-Terrorgruppe informiert habe. Ermittelt wurde – gegen ihn.
Siehe: „NSU ist nicht Neckarsulm“
Verfassungsschutz soll rechte V-Leute geschützt haben – Der Verfassungsschutz hat in den neunziger Jahren überzeugte Neonazis offenbar systematisch vor Strafverfolgung bewahrt. Dies geht nach SPIEGEL-Informationen aus einem geheimen BKA-Dokument hervor.
Siehe: „Verfassungsschutz soll rechte V-Leute geschützt haben“

Ansprache des AK Kesselklage am 9.11.2012 am Synagogen-Gedenkstein in Bad Cannstatt

Am 9.11. hielt Lothar Letsche ein Grußwort am Synagogen-Gedenkstein in Bad Cannstatt für den AK Kesselklage:

Der 9. November war ein symbolisches historisches Datum, mit dem die Nazis Schindluder trieben. Der 1. Mai, der internationale Feiertag der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, war es auch. Vor dem Hintergrund des Missbrauchs, der ab 1933 mit diesem Tag getrieben wurde, wurde ausdrücklich ein Artikel in die baden-württembergische Landesverfassung geschrieben, der festlegt, wozu dieser gesetzliche Feiertag da ist: Er „gilt dem Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Völkerverständigung“.

Ich spreche für eine Gruppe von Antifaschistinnen und Antifaschisten, die vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart feststellen lassen wollen, dass das nicht in Ordnung war, was am 1. Mai 2011 in Heilbronn passierte. An diesem Tag wurden 2 Millionen Euro dafür ausgegeben, um es mit einem gigantischen Einsatz von Landes- und Bundespolizei Neonazis aus dem ganzen Land zu ermöglichen,  gegen die Völkerverständigung gerichtete, menschenverachtende und – im Sinne dessen, was ich gerade zitiert habe -, eindeutig verfassungswidrige Parolen durch die Straßen von Heilbronn zu tragen.

Es fanden sich Richter, die das für ein Gebot der verfassungsmäßig zu schützenden Meinungsfreiheit erklärten.

Es fand sich auch ein Amtsrichter, der es für rechtmäßig erklärte, dass angereiste Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich diesem Spuk entgegen stellen wollten, bis zu 11 Stunden sozusagen wie wilde Tiere vor dem Heilbronner Hauptbahnhof von martialisch gekleideter Polizei in Schach gehalten wurden. Ich war dabei, als DGB-Funktionär eindeutig erkennbar, und hielt in dem Kessel stundenlang ein Transparent mit offiziellen DGB-Mailosungen. Später behauptete die Polizeiführung, wir hätten uns ja alle durchsuchen lassen und dann gehen können.

Es ist leider kein Witz  – Gewerkschafter sollten sich am 1. Mai auf dem Weg zu ihrer DGB-Maikundgebung durchsuchen lassen, weil Nazis entschlossen waren, genau an diesem Tag gegen eine angebliche „Fremdarbeiterinvasion“ zu demonstrieren. Und weil eine Stadtregierung und Polizeiführung entschlossen waren, ihnen das unter allen Umständen zu ermöglichen, und weil wir als mögliches Hindernis für dieses Vorhaben ausgemacht wurden. Wir, die Antifaschistinnen und Antifaschisten, wurden an diesem Tag nicht als die oft beschworenen Anständigen behandelt, die ihr Demonstrations- und Versammlungsrecht gegen den braunen Spuk wahrnahmen, sondern wie die wirklichen Feinde.

Was für ein Feindbild! Was hat das mit dem antifaschistischen Auftrag und dem Artikel 139 des Grundgesetzes zu tun?

Am 1. Mai 2011 waren wir keine Hellseher. Wir wussten damals noch nicht, dass es eine Nazi-Untergrundorganisation gewesen war, die eine junge Kollegin eben jeder Polizistinnen und Polizisten umgebracht hatte, die uns da gegenüber standen. Wir wussten allerdings von dem Verbrechen vierzehn Tage vorher in Winterbach. Von einer Zusammenkunft von Nazis ausgehend, die als Geburtstagsparty deklariert wurde, wurden Menschen türkischer und italienischer Herkunft gejagt und flohen in eine Hütte, die dann angezündet wurde. Wer glaubt denn, dass das eine Geburtstagsparty war? Viel mehr spricht dafür, dass die aus dem ganzen Land angereisten Nazis dort ihre Absprachen für den Heilbronner Gespensteraufzug trafen.

Jeden Tag lesen wir neue Enthüllungen über den NSU-Skandal. Was stand eigentlich in den geschredderten Akten darüber, welche Rolle sogenannte „V-Leute“ bei der maßgeblichen Planung und Durchführung solcher Provokationen spielen?

Die Feindbilder, mit denen wir ohnmächtig gemacht werden sollen, werden produziert und verbreitet vom sogenannten „Verfassungsschutz“, dessen baden-württembergische Zentrale nur wenige hundert Meter von hier entfernt sitzt. Er schützt nicht die Verfassung und ich finde, er gehört aufgelöst.

Lassen wir uns nicht abhalten, entschlossen und einheitlich handelnd, über alle unterschiedlichen politischen Lager hinweg, die Naziumtriebe nicht zuzulassen. Deren menschenverachtendes Gedankengut war nach 1945 aus gutem Grund geächtet und das muss so bleiben. Auf dem Gedenkstein hier steht, „nie wieder den Ungeist des Hasses und der Verfolgung aufkommen zu lassen“. Das ist in der Tat die Lehre der Ereignisse am 9. November 1938.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht

Die Linksjugend Solid in Baden-Württemberg zeigt sich solidarisch und hat folgende Solierklärung auf ihrer Jahreshauptversammlung verabschiedet:

Wir die Linksjugend Solid in Baden-Württemberg unterstützen die Arbeit
des AKs Kesselklage und sehen uns selbst in einer antifaschistischen
Tradition. Die jüngsten Angriffe auf couragierte NazigegnerInnen sehen
wir mit besonderer Sorge. Wenn die Versammlungsfreiheit der Nazis von
den Behörden als wichtiger eingestuft wird als die Versammlungsfreiheit
von AntifaschistInnen und GewerkschafterInnen, dann steuern wir auf
gefährliche Zeiten zu, denen wir uns entschieden entgegenstellen.
Wir sind nicht bereit, weiter hinzunehmen, dass Regungen von Protest und
praktisches Streben nach einer solidarischen Gesellschaft mit brutaler
Gewalt und Willkür von Seiten staatlicher Behörden beantwortet werden.
Gemeinsam verurteilen wir das Vorgehen der Behörden wie zum Beispiel
am 30. Juli in Stuttgart und am 6. Oktober in Göppingen und setzen uns
für eine intensive öffentliche Kritik und Nachbereitung der skandalösen
Polizeieinsätze ein. Die Kriminalisierung des Protestes ist weder
zwangsläufig, noch legitim. Solidarisch und kollektiv werden wir uns auch
bei den juristischen Konsequenzen für das Recht auf antifaschistischen
Protest einsetzen.
Wir unterstützen die geplanten Klagen gegen die stundenlange
Kesselung der NazigegnerInnen und werden mit
Öffentlichkeitsarbeit weiteren politischen Druck gegen die
verantwortlichen Behörden aufbauen. Das Recht auf
demokratische Versammlungsfreiheit und Meinungsäußerung
muss erhalten und ausgebaut werden! Dafür werden wir uns auch
in Zukunft stark machen. Weder ausufernde Polizeigewalt und
-willkür, noch juristische Schikanen können uns einschüchtern.
Für Versammlungsfreiheit und lebendigen Widerstand!

Ein Leserbrief an die Redaktion der Heilbronner „Stimme“

In der Heilbronner Tageszeitung „Stimme“ ist unter der Überschrift „Juristisches Tauziehen um Polizeikessel“ in der Berichterstattung über den Heilbronner Polizekessel vom 1. Mai 2011 zu lesen: „Auch der Kläger Thomas Trüten war auf dem Platz, konnte diesen aber verlassen, weil er sich mit einem Presseausweis freies Geleit verschaffte. Obwohl Trüten Organisator einer der Gegendemonstrationen war, ging er dann nicht zum angemeldeten Versammlungsort.“

Leider wird in dem Artikel nicht erwähnt, warum die von unserem Mitkläger  angemeldete Verammlung nicht stattfinden konnte, weshalb er die Redaktion um Veröffentlichung seines Leserbriefes bat:

„Viele BürgerInnen, darunter auch viele GewerkschafterInnen, die an der von mir angemeldeten Versammlung am 1. Mai teilnehmen wollten, waren leider im „Polizeikessel“ vor dem Heilbronner Hauptbahnhof seit 9.30 Uhr über viele Stunden im Polizeigewahrsam eingesperrt.

Unter den Eingekesselten waren auch einige der OrdnerInnen, so dass ich mich strafbar gemacht hätte, wenn ich entgegen der Versammlungsauflagen die Versammlung ohne diese OrdnerInnen durchgeführt hätte.

Im „Polizeikessel“ befanden sich darüberhinaus auch vorgesehene RednerInnen und KünstlerInnen, die das muskalische Rahmenprogramm bestreiten sollten.

Außerdem befanden sich auch etliche der benötigten Transparente und fast das gesamte Informartionsmaterial im „Kesselgewahrsam“.

Viele der eingekesselten GewerkschafterInnen waren so auch daran gehindert, sich zuvor an der traditionellen Versammlung der Gewerkschaften zum 1.Mai zu beteiligen. Beim DGB sollte im Übrigen auch mit Infomationsmaterial für die Versammlungen am nachmittag geworben werden.

Im Gegensatz zu allen anderen 450 bis 500 am 1. Mai vor dem Bahnhof von der Polizei eingeschlossenen Menschen, konnte ich mich nur aus dem Kessel heraus begeben, weil ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit vormittags über die Versammlungen am 1.Mai berichten wollte und im Besitz eines Presseausweises bin.

Ohne die Teilnahme der „Eingekesselten“ hätten wesentliche Teile der Demonstration und Kundgebung schlichtweg nicht stattfinden können.

Aus diesem Grund hatte ich ab Mittags versucht, vor dem Hauptbahnhof in Kontakt mit der Polizeiführung vor Ort zu kommen, um die geplante Demonstration in dem vorgesehen Umfang durchführen zu können und zu erreichen, das die Eingekesselten an der von mir angemeldeten Versammlung teilnehmen können. Meine Verhandlungen mit den nach langem Suchen von mir aufgefundenen Verantwortlichen der Polizeiführung führten leider zu keinem Erfolg.

So konnte meine vorgesehene Demonstration, deren Verbot erst am Tag vorher in zweiter Instanz vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim aufgehoben wurde, nicht durchgeführt werden.

Das ist für mich ein weiterer Grund, diesen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit am 1. Mai auch juristisch anzufechten.

Als langjähriger Gewerkschafter finde ich es unerträglich, wenn gerade am 1.Mai, wenn weltweit GewerkschafterInnen für Ihre Rechte eintreten, die Teilnahme an Gewerkschaftveranstaltungen verhindert wird.

Entgegen den öffentlichen Verlautbarungen der Polizeiführung wurde somit nicht das Demonstrationsrecht aller Versammlungen geschützt.

Geschützt wurde das Versammlungsrecht der Rechten, während das Versammlungsrecht von GewerkschafterInnen und AntifaschistInnen im Kessel eingesperrt war.

Dies ist umso erschütternder, wenn wir uns daran erinnern, dass einen Tag nach dem 1. Mai 1933, die Gewerkschaftshäuser besetzt, die Gewerkschaften verboten und GewerkschafterInnen inhaftiert wurden.

Auch in Heilbronn.

Mit freundlichem Gruß,

Thomas Trüten“